"Turm auf Torf" – in Berlins Baugrund ist Bauen riskant

Berliner Ztg. erinnert an Einsturz des Münzturms – Wann lernen Bauherrn?


Zitate aus dem Artikel:

"Hier fließt die Spree als Überbleibsel des mächtigen Stroms, der die Schmelzwasser der Eiszeitgletscher wegführte und das Berliner Urstromtal formte.

Spätere Bäche, Seen oder Tümpel haben sich im Laufe der Jahrtausende nach der Eiszeit verfüllt – erst mit Algen, aus denen Faulschlamm, die sogenannte Mudde, wurde. Als die Seen zu Mooren geworden waren, bildete sich eine mehrere Meter dicke Torflage: „Beide Schichten haben eine unterschiedliche Konsistenz“, sagt Alexander Limberg, „die untere Mudde ist schwabbelig, die Torfschicht faserig.“ (…)

"Der Berliner Untergrund ist eben voll heikler Stellen."

In Berlins Mitte will das Erzbistum Berlin ein über 8 Meter tief reichendes unterirdisches Bauwerk ("Tiefsakristei" genannt) fast 800 Quadratmeter groß, direkt neben die nur 4 Meter tief gegründete Kathedrale als Neubau in das Grundwasser und den unzureichend untersuchten Baugrund eingrabenNach den eindringlichen Appellen vieler unabhängiger Fachexperten ist dies ein erschütternder Fall von Beratungsresistenz der Leitung des Erzbistums Berlin.

Beispiele für  jüngste Berliner Bauskandale:

Friedrichswerdersche Kirche – ein irreversibler Schadensfall wegen Luxus-Neubauten, die nur wenige Meter neben der historischen Kirche tief in den Baugrund eindrangen;

Umbau Staatsoper Berlin – ein finanzielles Desaster (200 Mio. mehr als veranschlagt) mit um mehrere Jahre überzogener Bauzeit
Neubau James-Simon-Galerie - Museumsinsel, – viele Millionen teure Probleme mit dem Baugrund im Grundwasser und erheblicher Zeitverzug;
Umbau Pergamonmuseum – wegen fehlender Baugrunduntersuchung fand man ein Pumpwerk erst bei Baubeginn, sofortige Kostenerhöung um 200 Mio. Euro in Verantwortung von Kultur-Staatsministerin Monika Grütters war die Folge



In der Printausgabe titelte die Berliner Zeitung: "Turm auf Torf".

Ein Hinweis auf die problematischen Baugrundverhältnisse und den sehr hoch liegenden Grundwasserspiegel in Berlins Mitte, wo das Erzbistum Berlin nun direkt neben die flach gegründete historische Kathedrale ein sehr großes Tiefbauwerk ins Wasser graben will.



Schlüters Münzturm am Schloss – Chronologie eines historischen Bauschadens

Von Maritta Adam-Tkalec 19.03.2018, 12:32 Uhr

Ansicht von Berlin mit Schloss und dem Münzturm nach dem ersten, von Andreas Schlüter 1702 angefertigten Entwurf (Radierung von J.B.Broebes).  Foto: AG Schlossplatz

Berlin - Dieser Turm wäre „eines von den schönsten Kunststücken der Welt“ geworden, aber ein ausreichendes Fundament „an diesem bodenlosen und incorrigiblen Ort“ hätte immense Kosten verursacht. So lautete ein sachkundiges Urteil aus dem Jahr 1711.

 

Fünf Jahre zuvor war dieses Bauwunder eingestürzt: der von Andreas Schlüter, Architektur- und Bildhauerstar jener Zeit, kunstvoll entworfene und von 1702 an errichtete Münzturm, 95 Meter hoch, eines der Prestigeprojekte Friedrich I., des frisch gekrönten ersten Königs in Preußen. Ein Bauskandal allererster Klasse.

 

Das Problem rührte aus dem schwabbeligen, in der ausklingenden Eiszeit vor etwa 10.000 Jahren entstandenen Berliner Untergrund: Schlüter hatte auf einer Torflinse gebaut. Das geologische Phänomen war den damaligen Bauleuten bekannt – und es spielt den heutigen gelegentlich noch böse Streiche.

 

Seit Wochen betrachtet man fasziniert die Bilder des auf einer Länge von fast 100 Metern abgesackten Teilstücks der Autobahn A20 bei Tribsees. Es führt über eine Torflinse. Die kleinen Betonkerne, die den Baugrund stabilisieren sollten, haben der Last nicht standgehalten, die Bauverantwortlichen hatten die Tücke des Bodens unterschätzt.

 

U5 trifft alte Pfahlgründungen

So ähnlich verhielt es sich im Fall von Schlüters Münzturm. Auch der hatte mit den eiszeitlichen Tücken zu kämpfen, die vor allem die Berliner Stadtmitte zu einem schwierigen Baugelände machen. Zuletzt bekamen es die Ingenieure, die die Trasse der U5 vorbereiteten, mit dem Standort zu tun: Dort tangieren die alten Turmgründungen den künftigen Bahnhof Museumsinsel.

 

Auch der Hydrogeologe Alexander Limberg von der Landesgeologie der Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz kennt die heikle Stelle zwischen Schloss und Schlossbrücke. Hier fließt die Spree als Überbleibsel des mächtigen Stroms, der die Schmelzwasser der Eiszeitgletscher wegführte und das Berliner Urstromtal formte.

 

Spätere Bäche, Seen oder Tümpel haben sich im Laufe der Jahrtausende nach der Eiszeit verfüllt – erst mit Algen, aus denen Faulschlamm, die sogenannte Mudde, wurde. Als die Seen zu Mooren geworden waren, bildete sich eine mehrere Meter dicke Torflage: „Beide Schichten haben eine unterschiedliche Konsistenz“, sagt Alexander Limberg, „die untere Mudde ist schwabbelig, die Torfschicht faserig.“

 

Zu kurze Pfähle

So sehen die Bodenschichten – in unterschiedlicher Mächtigkeit ausgeprägt – überall entlang der Spree aus. An Schlüters Baustelle reichen die instabilen Schichten bis in elf Meter Tiefe. Das haben spätere Bohrungen ergeben.

 

In Richtung Museumsinsel reichen diese Schichten noch viel tiefer, bis zu 40 Meter zum Beispiel unter dem Bodemuseum. Dort muss es einen Strudel im eiszeitlichen Strom gegeben haben. Je weiter weg von der Spree die Probebohrungen angesetzt wurden, desto dünner wird die Mudde- und Torfschicht. Der abflachende Rand führt zu der Bezeichnung „Torflinse“.

 

Um auf solchem „bodenlosen und incorrigiblen“ Grund bauen zu können, müssen viele und vor allem lange Pfähle in den Boden gerammt werden. „Schlüters Pfähle waren nicht lang genug“, ist Alexander Limberg überzeugt, sie reichten nicht bis auf den stabilen Sandboden in etwa elf Metern Tiefe.

 

Innerhalb der Mudde- und Torfschichten gebe es normalerweise zwar keine Bewegung, doch wenn eine große Last auf sie drücke, dann komme es zum Einsinken. Aber selbst auf solchem Boden sei alles möglich: „Wenn die Pfähle nur ausreichend tief reichen, kann man auch dort sicher bauen.“

 

Königsstadt für das neue Preußen

Beide Faktoren spielten im Fall des grandiosen Münzturms an der Nordwestecke des Schlosses eine Rolle. Andreas Schlüter (1659/60 - 1714), seit 1699 Schlossbaudirektor, erneuerte von 1701 an die Fassade am Schlossplatz.

 

Der Herrscher wollte eine echte Königsstadt für das neue Preußen, die den anderen Landesfürsten des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation imponieren sollte – und zwar schnell. Er überhäufte seinen Baumeister mit Aufträgen.

 

Die hölzerne Lange Brücke (heute Rathausbrücke), die Berlin und Cölln verband, erschien ihm zu mickrig. Er wollte sie aus Stein, geziert vom ersten Großbronzeguss Schlüters: das Reiterdenkmal für den Großen Kurfürsten, seinen Vater.

 

Erste Risse

Auch für den alten Münzturm, ehemals als Wasserturm errichtet, wünschte der frisch gekrönte König eine Aufwertung. Er sollte aufgestockt werden und mit fast 100 Metern alles bislang in der Stadt Stehende als Wahrzeichen der Residenz überragen.

 

Zu diesem Zweck verlegte man die Münzwerkstätten und verstärkte das Fundament des Turmes. Schlüter fertigte mehrere Entwürfe an. Auf Wunsch des Monarchen sollte der Turm ein für 12.000 Gulden in Holland erworbenes Glockenspiel aufnehmen, eine Uhr sollte ihn schmücken, das Geläut regelmäßig erklingen.

 

1702 begannen die Arbeiten, doch schon 1704 zeigten sich Risse im Mauerwerk. Schlüter hatte auf die im instabilen Untergrund lauernden Probleme hingewiesen und entsprechende Untersuchungen durchführen lassen, wie aus historischen Unterlagen hervorgeht. Die alten Pfähle hatte man in tadellosem Zustand vorgefunden.

 

Gegenmaßnahmen wurden eingeleitet

Zur Gründung der massiven Pfeiler und Mauerwerksverbreiterungen des neuen Turms hatte er weitere Holzpfähle etwa drei Meter tief in den Baugrund rammen lassen. Er war überzeugt, das Nötige getan zu haben, wie ein Schlüter-Zitat erkennen lässt: „Zu solchem Haubt-Werk nun ist der Grund mit einem Bohr untersuchet worden und weil fast überall weich Erdreich gefunden worden, hat man mit etlichen Pfählen probiret, wie tief selbige gehen wollen, und da nun solche nicht tiefer in die Erde als 9 bis 10 Fuß (drei Meter) gingen, sind die übrigen alle von der Länge gemacht.“ 7000 Pfähle seien „verrammt worden“. 

 

Doch drei Meter – das war offenkundig zu wenig. Zudem mochte der König in dieser Angelegenheit keinerlei Widerrede hören. Er verlangte die zügige Umsetzung seines Hauptstadt-Traums, um das junge preußische Königtum in seiner Bedeutung hervorzuheben.

 

Angesichts der bald nach Baubeginn auftretenden Probleme ergriff Schlüter Gegenmaßnahmen, ließ den Schaft ummanteln, die Proportionen ändern, seitliche Stützen anbringen. Die drei oberen Turmgeschosse bis hin zur Spitze löste er in eine offene Säulenrotunde auf, eine aus den Niederlanden bekannte Form. Er strebte eine Reduzierung der Last des Baukörpers, eine Verlagerung des Schwerpunktes an und zugleich eine harmonischere Wirkung.

Aufrisszeichnung des Entwurfs des Münzturms von Andreas Schlüter

 

Es half nichts

1706, bei einer Bauhöhe von 60 Metern, musste Schlüter dem König gestehen, der Turm neige sich bereits rund 2,3 Meter aus dem Lot. Friedrich I. setzte eine Gutachter-Kommission ein, die urteilte, dass der Baugrund nicht tief genug erkundet und die Pfähle in Folge dessen nicht tief genug gerammt worden waren. Eine Befragung der Bauleute ergab zudem, dass weit weniger Pfähle gerammt worden waren als von Schlüter geplant und angegeben.

 

Schlüter selbst erklärte seinem Auftraggeber: „Was aber die Ursache, dass solch Werk gesunken ist, ist keine andere, als daß die Erde unter dem festen Boden noch ein sumpfig und morastig Erdreich haben muß, wie dieses denn ein vollkommenes Zeugnis ist, weil nicht der Thurm allein sich in die Erde drücket, sondern auch die Pfähle und Fundamente, welche nicht unter der schweren Last stecken, gehen allesamt mit hinunter; denn es bieget sich unter der schweren Last mehr, als dass es einschneidet“.

 

Einsturz vor Abriss

Neuerliche Abstützversuche durch Mauerpfeiler blieben erfolglos. Schlüter einigte sich am 18. Juli 1706 mit einer Kommission, den Turm bis auf die Höhe von 36 Metern abzutragen und als Aussichtsplattform zu nutzen. Peinlich genug – und dann stürzte der Turm tatsächlich ein, bevor die königliche Genehmigung für die kleinere Form ergangen war.

 

Als 1708 dann auch noch Mängel am Schloss offenbar wurden und ein von Schlüter gebautes Lustschloss in Freienwalde ins Rutschen geriet, schwand des Königs Gnade wie ein Brief an seine Schwiegermutter Sophie von Hannover nahelegt: „Dass mein Capel wieder abgebrochen wird, solches muss geschehen, weil die balken verfaulet seindt, und hat solches gemacht der Schlüter, der schelm, der den turm so verdorben gebauet.“

 

Untergrund voll heikler Stellen

Schlüters Berliner Neider, voran Rivale Johann Friedrich von Eosander, durften sich freuen: Der Hofbaumeister wurde 1706 entlassen, blieb aber als Hofbildhauer im Amt. Von 1708 an verschwindet Schlüter von den Personallisten des Hofbauamtes. Er führte in Berlin nur noch Aufträge von Privatleuten aus. 1713, nach dem Tod Friedrichs I., erfolgte die endgültige Entlassung. Er trat in den Dienst Zar Peter des Großen ein. Doch schon bald, am 23. Juni 1714, traf aus St. Petersburg die Nachricht von seinem Tode in Berlin ein.

 

Die U5 wird den Münzturm unterfahren, die alten Holzpfähle enden oberhalb des Tunnels. Beim Projektieren des U-Bahnhof Museumsinsel rechnete man damit, dass Vortriebs-, Bohr- oder Vereisungsarbeiten einzelne Holzpfähle unter der Schlossbrücke beziehungsweise unter den Ufermauern tangiert, gekappt oder anderweitig beeinflusst werden würden. Der Berliner Untergrund ist eben voll heikler Stellen.


Abbildung der gedruckten Fassung des Artikels Von Maritta Adam-Tkalec in der Berliner Zeitung vom 19.03.2018