Brief an Erzbischof Dr. Koch von Josef Göbel

Gesendet am 22.11.2018 an die Pressestelle des Erzbistums Berlin


Ein zunächst persönlicher Brief wurde erst dadurch, dass der Erzbischof nicht persönlich auf die Anfragen einging, zu einem offenen Brief,wie es Josef Göbel vorher angekündigte.

Hier wird das Schreiben nun zum Download bereitgestellt und ist auch online lesbar.

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Brief an Dr. Koch vom 20.11.2018 von Josef Göbel
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Josef Göbel

10405 Berlin, d. 20.11. 18

Knaackstr. 23 


An den Erzbischof

der röm.-kath. Kirche zu Berlin,

Herrn Dr. Heiner Koch

per Mailanhang

an die Pressestelle des Erzbistums 


Sehr geehrter Herr Dr. Koch,


 

in dem Roman, ‘Mein Name sei Gantenbein‘ von Max Frisch, findet sich der Satz: „Das Ich, das sich ausspricht, spricht sich in einer Rolle aus“.
In der Absicht, Sie einmal nicht nur als Amtsträger anzusprechen, erlaube ich mir diese Anrede. Ihr Gemeindebrief an PeterundPaul lässt auch bei Ihnen die Verschiedenheit der Rollen erkennen, in denen wir uns darstellen. Einerseits geben Sie sich im ersten Teil als der behutsame, feinfühlige Mensch und dann kommt der unpersönliche Amtsträger zu Wort, der abstrahiert und substantiviert. Der Satz im 4. Absatz des Briefes „Über die Entscheidung für die Maßnahme ...“ lohnt sich zu meditieren wegen der Wirkung übermächtiger Rollen, die unser Ich zu verschlucken drohen. Am Ende steht dann eine Entscheidung, die ich als der vermeintlich allein Verantwortliche meine treffen zu müssen, in der mein Ich, gespeist aus vielen Rollen, nicht mehr zu erkennen ist.

Wenn ich Sie in der Rolle suche, die sich bezieht auf Ihre, von Ihnen selbst dargestellten Wurzeln als Kind aus einer Mietwohnung im Ruhrgebiet, dann sehe ich einen Bruch zu Ihrem Abriss- und Neubauvorhaben des Lichtenberghauses. Würde nicht am Ende eine Dienstwohnung im leicht umbaufähigen, für viele verschiedene Zwecke nutzbaren Lichtenberghaus reichen? Passt der Abriss zu dem Ich, das sich aus vielen bescheidenen Quellen speist und von der notwendenden Nachhaltigkeit weiß und predigt?

 

Wenn ich Sie auch wahrnehme in der Rolle des kontaktfreudigen, verbindlich wirkenden Zeitgenossen, kann ich nicht erkennen, wie es Ihnen möglich ist, so kurz nach Amtsantritt einen Umbaubeschluss der Kathedrale, noch dazu in unangemessener Feierlichkeit als Hirtenbrief, zu verkünden. Wir kennen doch alle den Grundsatz, zumindest in der Pastoral, dass man als Neuer erst einmal an- und aufnimmt, was da ist – auch wenn der kurzzeitige Vorgänger in Missachtung dieser Regel, etwas vom Zaun gebrochen hat; und auch wenn der zwischenzeitliche Bistumsverweser entgegen der Kirchenordnung das Umbauvorhaben weiter betrieben und dafür schon Geld ausgegeben hat. Ihrer beider Vorgänger, Joachim Meisner, hatte ja sofort nach Bekanntwerden der Umbauabsichten Ihren Vorgänger auf diese Regel hingewiesen.

 

Jemandem, der aus dem architekturträchtigen Köln kommt und sich in Dresden auf eine Barockkirche eingelassen hat, die auch nicht gerade ausschließlich für den Communio-Gedanken steht, müsste doch die ganz eigene, auch bewusst befremdliche Innenarchitektur von St. Hedwig zumindest aufgefallen sein. Das müsste doch ein Zögern bewirken, daran Hand anzulegen. Kompetente Warner gab es genug und dazu die Menschen, die in dieser Kirche gelebt und gebetet haben und nun verstört sind. Ich denke an die Jahre nach dem Konzil, in denen oft, um der inneren Reform aus dem Wege zu gehen, besonders eifrig der neuen Liturgie bautechnisch nachgejagt wurde. Man könnte sagen, es sei nun wie damals, als die Alten dagegen waren und die Jungen dafür. Ganz abgesehen davon, dass die Jungen sich heute dafür so oder so kaum engagieren, muss man doch hoffen, dass wir aus der Geschichte ein wenig lernen. Geblieben ist aus der Bilderstürmerei der Nachkonzilszeit, dass viele Kirchen heute liturgisch überkorrekt aber leergeräumt erscheinen. Und so könnte es mit St. Hedwig auch gehen.

 

In der Akademie in Schwerte tagt man in diesem Monat gerade über Kirchbau nach dem Krieg unter dem Gesichtspunkt, wie entsteht Atmosphäre im Raum. In der Hedwigskathedrale sind Sie dabei, die ganz eigene Atmosphäre zu vertreiben zugunsten eines Aktionsraumes, den Sie dann dauernd anstrengend mit immer neuen Aktivitäten bespielen müssen. Erste Beispiele gibt es ja schon jetzt nach der Schließung.

Ihre frühe Frage bei Amtsantritt, wie die Kirche „andächtiger“ wirken könnte, ist berechtigt. Der Raum ist in den letzten Jahrzehnten sträflich vernachlässigt worden, weil man sich zunehmend weniger auf seine Botschaft eingelassen hat. Die raumwidrige Bänkeumstellung ist schon oft thematisiert worden. Im Zusammenhang mit dem Einbau der wunderbaren Orgel hat man leider allmählich den Mitteleingang durch die immer festere Chorinstallation versperrt: dabei erschließt sich der Raum mit der Treppenskulptur entscheidend vom Mitteleingang. Der Chor könnte seinen Platz finden in der vorgezogenen Nische rechts neben den Sedilien. Dadurch würde der überbetonte Bischofssitz etwas eingeebnet, was sicher auch Ihrem Empfinden auf diesem Platz entgegen käme. Und die Unterkirche bedarf nach all den Jahren überhaupt noch ihrer Erweckung als Confessio durch einen geschickteren Gebrauch des Raumes bei Gottesdiensten. Ich nenne das als Beispiel mit der Zuständigkeit eines jeden Zeitgenossen, der neben der Beachtung des Denkmalsrechts auf den unnötigen Verbrauch von Natur und Geld zu achten hat. Bei kleinen Korrekturen und der entsprechenden Sanierung wird man neu entdecken, welcher Nachkriegsschatz den Nachgeborenen anvertraut wurde. Und die Nachkriegszeit sollte man bedenken, dass spüren wir alle ganz aktuell.

 

In der Rolle eines Gliedes in einer demokratischen Gesellschaft wird Ihnen vielleicht selbst aufstoßen, was der Senator Lederer in einem Interview über seine Gründe zur Aufhebung des Denkmalschutzes sagt. „Maßgeblich ist im Genehmigungsverfahren ausschließlich das, was der Erzbischof feststellt und das Erzbistum beantragt.“ Man sieht förmlich genüsslich den Finger auf den zeigen, der solchen Widersinn will und damit eigentlich sich und die Kirche bloß stellt vor der kultur- und geschichtsverständigen Öffentlichkeit. Den Denkmalschutz hat die Hedwigsgemeinde für ihre Kirche begrüßt als Zeichen der Wertschätzung der kulturvollen Innengestaltung. Ist es perspektivisch nicht sehr gefährlich, sich unter Hinweis auf die Selbstverwaltung der Kirchen diesem gesetzlichen Schutz zu entziehen, weil es Schule machen könnte für alle möglichen Wünsche anderer, neu sich etablierender Religionsgemeinschaften?

 

Gegen gerichtliche Einsprüche haben Sie sich nun schon mit einem betuchten Anwalt gewappnet. Aber sollten Sie nicht froh sein, wenn eine gerichtliche Entscheidung den Umbau versagt, weil Sie dann noch gesichtswahrend aus dem Dilemma heraus kommen könnten?

Doch eigentlich geht es gar nicht mehr um die Gesichtswahrung. Die viel beschworene Glaubwürdigkeit der Kirchen wird wohl am ehesten wiedergewonnen, wenn wir an konkreten Punkten sagen und bekennen: „Wir sind in die Irre gegangen“ auf der Suche nach dem Platz für die Kirchen in der Welt von heute - und bei St. Hedwig auch noch beim vielbeschworenen, so oft verkehrt gelaufenen „Umbau Ost“.

Ich betrachte diesen Brief zunächst als einen ganz persönlichen, vom unwürdigen Bruder an den hochwürdigsten. Sollte ich vergebens auf eine Reaktion von Ihnen warten, würde ich ihn nach einer gewissen Zeit als Offenen Brief benutzen im Blick auf Ihre öffentliche Rolle, die Sie neben anderen ja auch haben.

 

Mit guten Wünschen für Sie grüßt hochachtungsvoll

 

Josef Göbel


Diesen Brief hat Erzbischof Koch nicht beantwortet. Die Reaktion übertrug er Dompropst Przytarski. Auf dessen Erwiderung ist Josef Göbel in einem Dankschreiben eingegangen, obwohl er eine Antwort des Erzbischofs auf seinen persönlichen Brief erhofft hatte.