1.  Sehr geehrter Herr Erzbischof,

 

auf die Fragen, die Sie dem Fachsymposium zur künftigen Gestalt der St. Hedwigs Kathedrale am 15. Dezember 2015 vorlegten, haben wir Ihnen bereits am 26. Januar 2016 ausführliche Antworten zugesandt.

 

Heute möchten wir auf die Fragen antworten, die Sie am 29. Januar 2016 im Vorfeld der Diözesanratsversammlung am 27. Februar 2016, an die verantwortlichen Gremien und Gruppen zur zukünftigen Gestaltung der St. Hedwigs-Kathedrale“ gerichtet haben.

 

Da sich diese Fragen mit jenen vom 15. Dezember 2015 inhaltlich stark berühren, beantworten wir die neuen Fragen auf der Grundlage und mit Bezug auf unseren Antworten vom 26. Januar 2016.

 

 Theologische Botschaft

 

Die Gestaltung des Innenraums der Kathedrale durch Hans Schwippert hat eine eindeutige theologische Botschaft. Das ist der Ort, an dem sich das Volk Gottes unter dem Vorsitz des Bischofs um den Altar zur gottesdienstlichen Feier versammelt und wo Vergangenheit und Gegenwart der Kirche zusammen geführt werden.

 

Der Entwurf von Sichau & Walter mit Zogmayer ist eine radikale Reduktion auf die räumliche Grundstruktur ohne eindeutigen gottesdienstlichen Charakter. Vielmehr wirkt das damit geplante Kathedralinnere wie ein Versammlungsraum, der durch die Ebenerdigkeit aller Elemente die Mitfeier der Liturgie und das Verständnis der Predigt für die meisten Anwesenden erschweren wird.

 

 

2.   Die Kathedrale als Ort der Sammlung, des Gebetes und der Anbetung.

 

Die wechselseitige Offenheit von Sockelkirche und oberem Hauptraum in der Gestaltung der Kathedrale durch Hans Schwippert bietet vielfältige Orte der Sammlung, des Gebetes und der Anbetung innerhalb der Einheit des einen Innenraums.

 

Im Entwurf von Sichau & Walter mit Zogmayer wird eine gesonderte Sakramentskapelle neben dem Hauptraum der Kathedrale geschaffen, was die Gefahr begründet, dass das Innere der Kathedrale als ein Ort für Versammlungen und Besichtigungen erscheint.

 

 

3.   Die Liturgiefähigkeit der jetzigen Fassung und des neuen Entwurfs

 

Der von Hans Schwippert geschaffene Innenraum ist seit 1963 Ort eindrucksvoller liturgischer Feiern. Die Prozessionen um die Öffnung vor dem Altar schaffen beim Einzug und beim Auszug eine einmalige Verbundenheit zwischen den Zelebranten und der mitfeiernden Gemeinde.

 

Im Gegensatz dazu bietet der Entwurf von Sichau & Walter mit Zogmayer für die Feier der Liturgie nur einen kleinen runden Tisch, der als Altar allenfalls durch seinen Platz im Innenraum erkennbar ist und – im Gegensatz zum jetzigen eindrucksvollen Altar – keine Möglichkeit zur Konzelebration bietet. Da alle Raumelemente (Altar, Ambo, Sitze für den Bischof und mitfeiernde Geistliche) auf ebener Erde angeordnet sind, gibt der Raum auch keine orientierende Struktur vor. Prozessionen durch die Gemeinde sind möglich, doch würden sie nur der Markierung des Beginns und des Endes der Liturgie dienen können; dagegen werden sie keine gemeindekonstituierende Wirkung entfalten.

4.   Tradition und Fortschritt

 

Sowohl die jetzige Gestaltung als auch der neue Entwurf gehen vom Kuppelbau aus, der dem römischen Pantheon nachempfunden ist, und leiten daraus den Innenraum ab. Beim Neuentwurf ist dies allerdings nur von oben voll erkennbar.

Die Antwort auf die Frage, ob das Raumerlebnis berührt, Emotionen auslöst und zum Beten anregt, führt zur bestehenden Gestaltung, nicht zur geometrisch abstrakten Konstruktion des Neuentwurfs.

 

 

5.   Wirkung der Kuppel

 

Gemeinsam ist beiden Fassungen – dem jetzigen Zustand und dem Neuentwurf – die Grundidee, den Raum konsequent als Kuppelsaal zu gestalten. Wesentlich ist dagegen der Unterschied, dass Hans Schwippert das Zentrum des Raumes vom Altar her entwickelt und zugleich die Hauptkirche und die  Sockelkirche zu einem gemeinsamen Raumeindruck verbindet, den die Kuppel abschließt und vollendet.

Mit der Einladung nach unten wird der Blick durch den aufstrebenden Altar nach oben zur lichtspendenden Kuppel gelenkt.

 

 

6.   Worauf konzentriert sich der Blick?

 

Im Bestand ist der Blick beherrscht vom Altarblock mit der Tabernakelsäule. Die Position des Tabernakels symbolisiert die Grundlegung unseres Glaubens. Die direkte Verbindung zum zentralen Altarkreuz wird heute durch die Petrusfigur vermittelt, die Schwippert nicht vorsah.

Der neue Entwurf bietet den nur über diagonale Eingänge Eintretenden weder eine Orientierung im Raum, noch charakterisiert er diesen als Ort für den Gottesdienst.

 

 

7.   Kirchenfenster

 

Die Kirchenfenster in der Gestaltung durch Hans Schwippert sind Kunstwerke, die eine Reinigung zur vollen Wirkung brächte. Diese sollen im Neuentwurf durch Milchglas ersetzt werden.

 

banales

8.   Anordnung von Altar, Ambo, Bischofs- und Priestersitzen sowie Tabernakel

 

Die Fassung von Hans Schwippert lebt von der herausragenden Position des Altars und des Bischofssitz mit den Sedilen und dem gleichsam grundlegenden Ort des Tabernakels. Ein Ambo fehlte; er wurde dann neben dem Altar hinzugefügt und steht jetzt völlig unsinnig hinter dem Altar.  

 

Im Neuentwurf geht von Altar, Ambo und vom Bischofssitz und den Sitzen für die Geistlichen keine raumprägende Wirkung aus. Sie sind nur Teil des Raumarrangements.

 

 

9.   Raum für Chöre und Orchester

 

In der bestehenden Kathedrale ist Ort für Chor und Orchester vorerst provisorisch gelöst. Durch den Neuentwurf würde die Bischofskirche den wesentlichen Mitteleingang endgültig einbüßen, ohne dafür einen geeigneten Ort zur musikalische Gestaltung von Festgottesdiensten zu gewinnen. Das steile, viel zu kleine Chorpodest würde die bestehende Orgel verdrängen. Der neue Vorschlag wurde schon vom Preisgericht kritisiert.

 

Den Mitteleingang und die Orgel zu erhalten und den Chor als Teil der feiernden Gemeinde zu erleben, die den Altar umringt, sollte Ziel der weiteren Überlegungen sein.

 

 

10.                 Orte für den Vollzug von Gesten

 

Solche Orte bietet die derzeitige Fassung an, so z.B. auf dem Treppenabsatz. Im Neuentwurf schließt die radikale Reduktion des Innenraumes auf Elemente und Linien solche Gesten eigentlich aus.

 

 

11.                 Krypta / Sockelkirche

 

Die Sockelkirche der gegenwärtigen Fassung ist hervorragend geeignet als ein Raum der Stille und der Anbetung. Dagegen ist die derzeitige Möglichkeit zur Eucharistiefeier dort unbefriedigend, so dass eine Neugestaltung der Sockelkirche geraten erscheint.

 

Im Neuentwurf verschwindet die Krypta aus dem Kirchenraum. Der Zugang soll aus der Vorhalle erfolgen und ist klein und nicht einladend. Es muss befürchtet werden, dass dadurch die Krypta in ihrer derzeitigen Bedeutung als liturgischer Raum und als Erinnerungsort für Bernhard Lichtenberg dramatisch verringert wird.

 

12.                 Weiterarbeit am der Gestaltung durch Hans Schwippert

 

Die Frage deutet auf die bisher fehlende unabhängige Planung zur Sanierung des Bestands mit technischen und liturgischen Verbesserungen hin. Als Grundlage einer Bauentscheidung sind vergleichbare und technisch prüfbare Unterlagen gleichen Ausarbeitungsgrads notwendig, doch beim Neuentwurf fehlt die planerische Lösung, beim baulich Vorhandenen die Sanierungsplanung.

 

Weder die Sakramentskapelle, noch die unterirdische Sakristei sollten aus dem Neuentwurf übernommen werden: Eine gesonderte Sakramentskapelle schwächt den geistlichen Charakter des Kirchenraumes. Die geplante unterirdische Sakristei könnte, wie die Erfahrungen an der Staatsoper und an der Friedrichswerderschen Kirche gezeigt haben, die Stabilität der St. Hedwigs Kathedrale schwer gefährden. Die Kosten für den Umbau würden zur Beherrschung des Stabilitätsproblems  erheblich steigen.

 

Für die notwendige gründliche Überarbeitung des Neuentwurfs bietet das Wettbewerbsverfahren keine Legitimation. Ein Realisierungswettbewerb kürt nur einen Entwurf zum Sieger. Wenn dieser Entwurf nicht realisiert wird, ist das Verfahren des Wettbewerbs und dessen Ergebnis hinfällig (s. gesetzliche Grundlagen).

 

Von der bestehenden Gestaltung halten wir unbedingt für erhaltenswert: den Altar, den  kostbaren Tabernakel (an einem angemessenen Platz innerhalb des Kirchenraumes und möglichst in Altarnähe), den Bischofssitz mit den Sedilen und den Wandteppichen dahinter, die Fenster, die Farbgestaltung, die Orgel und einen einladenden Zugang zur Krypta vom Kirchenraum aus.

Die Petrus/Urban-Figur und die Marienfigur könnten auf schlanken Stelen in dem Zwischenraum zweier Säulenpaare platziert werden.

 

Wichtig (und im Geiste Hans Schwipperts) wäre eine halbkreisförmige Aufstellung der Kirchenbänke um den Altar herum, dessen leichtes Anheben lediglich der besseren Sichtbarkeit dient.

 

 

13.                 Eine Vermischung von Auffassungen ergibt nichts Überzeugendes

 

         13. Entscheidung zwischen Bestand und Entwurf  [Welche Fassung?]

 

         13. Ungelöstes Problem in beiden Fassungen  [Welche Fassung?]

 

Grundsätzlich müssen wir feststellen, dass eine verantwortbare Bauentscheidung zwischen zwei Varianten nur getroffen werden kann, wenn für beide sachlich vergleichbare und technisch prüfbare Unterlagen gleichen Ausarbeitungsgrades vorliegen. Vom Neuentwurf kennen wir außer dem Modell bisher nur Planungsskizzen. Für die Sanierung der gegenwärtigen Fassung gibt es u.W. überhaupt keine Planung und damit auch keine Antwort auf die Frage, wie diese liturgisch und technisch verbessert werden könnte.

Wir erinnern auch daran, dass es im Rahmen des gewählten Wettbewerbsverfahrens keinen rechtlichen Raum für eine gründliche Überarbeitung des Neuentwurfs gibt. Denn ein Realisierungswettbewerb kürt einen Entwurf zum Sieger. Wird dieser nicht realisiert, so sind aus rechtlichen Gründen das Verfahren dieses Wettbewerbs und sein Ergebnis hinfällig.

 

Erst die gleichberechtige Ausarbeitung von Alternativen in vergleichbarem Detaillierungsgrad ist die Voraussetzung für einen Vergleich. Eine Vermischung von Gestaltungsansätzen führt nicht zu überzeugenden Lösungen. Für seriöse Entscheidungen ist eingehendere Beratung und Prüfung erforderlich.

 

Sowohl bei der jetzigen Gestaltung wie beim Neuentwurf müsste über eine geeignete Aufstellung von Chor und Orchester neu nachgedacht werden.

14.                 Ausgangspunkt weiterer Überlegungen

 

Nach unserer Überzeugung muss die Schwippertsche Fassung Ausgangspunkt der künftigen Überlegungen sein.

 

 

 

15.                 Friedliches Miteinander

 

Für die Zukunft des Bistums und für das Ansehen unserer Kirche ist ein friedliches Miteinander von großer Bedeutung. (Bisher fehlte es an der dafür nötigen Gemeinsamkeit – Gespräche, Zuhören, Nachdenken.) Um dies zu erreichen, ist aber auch Realismus unverzichtbar. Dazu gehört zu verstehen, dass durch die Art, in der die beabsichtigte Neufassung der Kathedrale auf den Weg gebracht und betrieben worden ist, zu tiefen Verletzungen geführt hat. Zu nennen sind hier u.a. die nicht zutreffende liturgische Begründung für eine Neufassung, die Leugnung der herausragenden Leistung Hans Schwipperts als Werk der liturgischen Erneuerung, die Verkennung der gesamtdeutschen Bedeutung seiner architektonischen Modernität im geteilten Berlin und die Versuche einiger Befürworter der Neugestaltung, diese als  Überwindung von DDR-Vergangenheit und Weg zu einer „repräsentativen Hauptstadtkathedrale“ zu befördern.

 

 

Für künftige Gespräche stehen für die „Freunde der St. Hedwigs-Kathedrale“ Prof. Dr. Hans Joachim Meyer und Dipl. Ing. Werner J. Kohl zur Verfügung.